
Die Äpfel der Demeter
Als Odysseus und seine Männer am 70. Tag ohne Halt auf einer Insel endlich wieder Land erblickten, sahen sie schon von Weitem die goldene Pracht, die dieses Land schmückte. „Das kann nur mein Schloss sein!“, dachte Odysseus und auch den anderen Gefährten schwebte derselbe Gedanke im Kopf.
Sie hissten die Flagge und wollten freudig mit Wein zur unversehrten Heimkehr anstoßen, als Odysseus innehielt. Nachdenklich meinte er: „Das ist nicht Ithaka, meine Freunde, doch dieses Land wird uns großen Reichtum bringen. Ich sehe viele goldene Bäume mit vielen goldenen Äpfeln!“
„Was ist das für eine Insel?“, fragte einer. Doch keiner wusste eine Antwort. „Umso besser“, sagte Odysseus, „dann wird sie auch unter anderen Seefahrern nicht bekannt sein. Lasst uns anlegen und den Genuss der Äpfel genießen!“ Die Freunde stimmten freudig zu, denn sie hatten Hunger. Doch Demeter, die Göttin der Ernte und Fruchtbarkeit, die in Besitz dieser Insel war, schaute missmutig auf die Männer hinab. Niemand durfte ihre Äpfel anrühren, sonst würde dieser die Insel nicht mehr lebend verlassen. Und das musste auch bei Odysseus und seinen Gefährten der Fall sein. So sandte Demeter ein Signal an den Wächter der Insel, den goldenen Drachen Fruktus.
Währenddessen saßen Odysseus und die Männer im weichen Gras und verspeisten die köstlichen Äpfel von den goldenen Blättern. Plötzlich sprang Odysseus auf: „Männer! Spürt ihr auch die Kraft, die ihr auf einmal besitzt?“ „Ja!“, freute sich der kleinste der Soldaten, der sonst nur einen Kürbis stemmen konnte. Er griff nach einem gewaltigen Felsblock und hielt ihn triumphierend mit einer Hand in die Höhe. Die anderen taten es ihm gleich. Doch Odysseus wurde nachdenklich. Er kannte nur eine Insel, auf der Kräfte verleihende Äpfel wuchsen, und das war die heilige Insel der Demeter. Und Odysseus wusste auch, dass diese Insel von dem goldenen Drachen Fruktus bewacht wurde, der jeden Eindringling mit Haut und Haaren verspeiste. Schnell teilte er dies den Gefährten mit, doch die machten keine Anstalten zu gehen. Sie waren so überwältigt von den Kräften der Äpfel, dass sie sich nicht losreißen konnten. Odysseus wollte sie mit Gewalt aufs Boot zwingen, als auch schon ein fürchterliches Brüllen die Luft erzittern ließ. Gleichzeitig jagte eine schaurige Flamme über den Himmel. Odysseus und die Gefährten standen vor Schreck gelähmt auf der Wiese, als sich ein riesiger goldener Drache vor ihnen aufbaute. „Fruktus!“, dachten einige voller Angst. Den anderen hatte es bei dem Anblick die Sprache verschlagen. Fruktus griff sich drei Männer, briet sie in seinem eigenen Feuer und verspeiste sie genussvoll. Dann trieb er Odysseus und die restlichen Soldaten in eine gewaltige Höhle, in deren Mitte ein riesiger goldener Apfelbaum thronte. Der Drache versperrte sie, indem er sich selbst davorlegte. So würde keiner entkommen. Odysseus und seine Männer grübelten, bis einer die Stille brach: „Einer Legende nach lässt sich ein goldener Drache nur mit einer goldenen Schlange verjagen.“ „Doch woher bekommen wir die?“, fragte ein anderer. „Ich habe einen Plan!“, sagte Odysseus und begann rasch, ihn zu erklären, denn sie mussten fertig sein, bevor der Drache aufwachte. Gleich machten sich die Männer an die Arbeit. Mit allem, was sie besaßen, Material, das sie in der Höhle fanden, und tausenden von goldenen Blättern bastelten sie eine riesige goldene Schlange. Sie war innen hohl und hatte hinten eine Öffnung, durch die man in sie hineinkriechen konnte. Außerdem waren unten winzige, kaum sichtbare Holzrädchen angebracht.
Als alles fertig war, krochen alle Gefährten in die Schlange hinein, nur Odysseus blieb draußen. Dann erwachte Fruktus. Mit einem Brüllen richtete er sich auf, dann fiel sein Blick auf die riesige goldene Schlange, in der sich die Männer versteckten und hinter der sich Odysseus verbarg. Dieser gab ein Signal, auf das sich alle Männer in dem Tier gegen die Wände warfen, sodass die Schlange auf einmal sehr echt aussah. Odysseus atmete noch einmal tief durch, dann schob er mit der vielen Kraft, die er durch die Äpfel bekommen hatte, die ganze Bastelarbeit direkt auf den Drachen zu. Dieser schrie vor Schreck noch kurz auf, dann rannte er so schnell, wie er konnte, aus der Höhle, bis er nicht mehr zu sehen war. Freudig kletterten die Soldaten wieder nach draußen und machten sich auf den Weg zum Schiff. „Nehmt so viele Äpfel mit, wie ihr tragen könnt!“, befahl Odysseus. Zu derselben Zeit berieten sich die Götter auf dem Olymp. Am Ende kamen sie zu dem Entschluss, dass Poseidon die Mannschaft mit einem schlimmen Sturm überraschen sollte, der ihnen allen den Tod bringen würde.
Doch als auf dem Meer die Wellen höher wurden und die Segel von Odysseus` Schiff zerrissen, da sprangen sie einfach ins Wasser und schwammen bis zur nächsten Insel, denn das war durch die Äpfel ein Kinderspiel. Dort empfingen sie freundliche Leute, die ihnen dabei halfen, ein neues Schiff zu bauen, und schon bald segelte Odysseus wieder über die Meere.
Text: N. H.
Bild: https://de.freepik.com/vektoren-kostenlos/skizze-drache-illustration_3886778.htm